Ist Dir schon mal aufgefallen, dass diejenigen, die von sich behaupten „Realisten“ zu sein, einfach nur „Pessimisten“ sind. Es steckt auch eine gewisse Rechthaberei dahinter und vielleicht sogar eine Lust, Anderen die Laune zu verderben. Denn was der Pessimist nicht brauchen kann, ist jemanden um sich, der gut drauf ist. Da man ja nicht wirklich sagen kann, was wirklich ist – also wirklich wirklich, letztendlich unumstößlich wirklich – kommt der Pessmist hier nicht mit Argumenten weiter. Der Optimist wird ihn einfach aushebeln, indem er das positive Gegenteil behauptet und schlimmstenfalls sogar belegt. Also muss der Pessimist sagen – und dafür braucht es einen Schuss Überheblichkeit – „ja schon klar, du siehst ja immer alles mit der rosa Brille, aber ich bin Realist, ich seh die Sachen klar.“

Aha, so ist das also. Hinter der Überheblichkeit verbirgt sich natürlich einfach nur wieder Unsicherheit. Und deshalb stellt sich der Pessimist auf das Schlimme bis Schlimmste ein. Vorsichtshalber. Und wenn er dann recht behält, dann kann er sagen „siehst du, ich habs ja gewußt.“ Auch eine Möglichkeit, sich gut zu fühlen. Sozusagen negatives Gutfühlen. Freude am Scheitern. Das ist wie mit der negativen Zuwendung, die Kinder sich holen, wenn man sich nicht genug um sie kümmert.

Früher habe ich immer versucht, zu argumentieren. Habe versucht, logisch zu belegen, dass die Chancen auf beiden Seiten groß sind, dass etwas gelingt oder scheitert. Und dass es auch sehr auf die persönliche Haltung ankommt. Aber dem Pessimisten kommt man nicht bei. Der will die Welt schlecht sehen. Das gibt ihm Halt. Seltsam, aber funktioniert. Heute halte ich nicht mehr dagegen und grinse mir eins, wenn mal wieder einer sagt „ich bin Realist“.

Mal abgesehen davon, wer Recht behält, der Optimist hat das entspanntere und fröhlichere Leben bis zum etwaigen Scheitern. Denn seine Hoffnung stirbt zuletzt. Mal angenommen zwei Leutchen laufen nebeneinander her auf einen Berg. Der eine denkt darüber nach, dass es bestimmt gleich regnet und NATÜRLICH hat er keinen Schirm dabei. Oh wei, bestimmt wird er gleich nass und dann holt er sich mit Sicherheit eine fette Erkältung oder gar eine Lungenentzündung und am nächsten Tag kann er nicht arbeiten und dann bekommt er Stress mit seinem Chef, vielleicht eine Abmahnung, oh nein, vielleicht sogar die Kündigung. Dann fliegt er aus der Wohnung, weil er kein Geld mehr verdient und landet unter der Isarbrücke mitsamt seiner Lungenentzündung, an der er dann bestimmt arm und einsam verstirbt.

Mittlerweile stehen die beiden Wanderer bei herrlichem Sonnenschein auf dem Gipfel und überblicken bei bester Sicht die Gipfel bis weit ins Karwendel hinein. Der andere Wanderer denkt nicht über Regen nach. Er atmet die frische Waldluft ein, hört die Amsel und den Specht, freut sich über den Kuckuck und entdeckt zwischen den jungen Fichten den blühenden Seidelbast. Wie jedes Jahr beeindrucken ihn die frischen Triebe, die sich den Weg ans Licht suchen. Er lauscht dem Geplätscher des Baches am Wegrand, spürt die Kraft der Frühjahrssonne in seinem Gesicht, beachtet seinen eigenen ruhigen Schritt und Atem. Er freut sich auf die Gipfelbrotzeit und wundert sich über das mürrische Geschau seines Weggefährten, wo doch die Welt so schön ist.

Und selbst, wenn es kurz vorm Gipfel aus Kübeln schütten und der Nebel den Blick auf die Umgebung verwehren würde, wer hätte wohl den schöneren Weg gehabt? Wer geht erfüllter nach Hause? Wer hat eine wohligere Erinnerung an den Ausflug? Wer geht am nächsten Tag entspannter an die Arbeit? Und wer von unseren Wanderern ist nun der Realist? Beide. Denn jeder Mensch schafft sich seine eigene Realität. Das geschieht über die Wahr-Nehmung. Das, was ich für wahr annehme/halte, ist meine Realität. Wir haben die Wahl.

Ah, höre ich da den pessimistischen Realisten „es gibt aber Situationen, die sind ganz objektiv schlimm, schwer, furchtbar“. Ja klar. Aber auch in den ärgsten Lebenssituationen gibt es die Einen, die verzweifeln und die Anderen, die das Beste daraus machen. Vor denen habe ich persönlich großen Respekt. Aber das liegt sicher nur daran, dass ich so ein unverbesserlicher Optimist bin.