An einem sonnigen Nachmittag im Herbst stehe ich, in Gedanken versunken, bei Rot an einer viel befahrenen Münchner Straßenkreuzung. Berufsverkehr. Mein Blick fällt auf die schmutzige Hausfassade gegenüber. Der schöne Stuck ist dort ganz grau und die Engelsfiguren haben schwarze Staubmützen auf. Trostlos, denke ich. Ständig sind die Fenster voll Straßenstaub und öffnen kann man sie auch nicht, weil sonst alle Husten kriegen. Blumen gehen sicher ein auf dem Fensterbrett. Und immer der Lärm. Gerade um diese Uhrzeit.
Da öffnet sich ein Fenster und eine Frau mittleren Alters streut etwas auf die äußere Fensterbank. Sofort kommen eine Handvoll Tauben angeflattert. Die kennen das offenbar schon. Flugratten, knarzt es durch mein Hirn. Dabei mag ich doch Tauben. Dort oben in der 3. Etage über der dreckigen Straße beginnt ein poetisches Schauspiel. Die Frau wirft Futter in die Luft, die Tauben reagieren prompt und stürzen sich auf die Körner. Es ist ein lustiges Auf und Ab. Die Frau kratzt mit bloßen Händen Krümel vom Fensterbrett. Es ist ihr wohl egal, dass es schmutzig ist. Wieso denke ich darüber nach? Es kann mir doch egal sein. Die Vögel picken der Frau aus der Hand, fliegen auf, drehen sich geschickt und kommen zurück. Die Frau lächelt, klopft die Hände gegeneinander, winkt ihren fliegenden Freunden zu und schließt die beiden Flügel ihres Fensters. Ich sitze versunken da. Schaue den Tauben nach und schäme mich ein wenig für mein inneres Geschimpfe. Die Frau am Fenster wirkte so entspannt. Sie war so ganz bei sich und bei dem, was sie tat. Einen schönen Moment hat sie geschaffen und ich fühle mich beschenkt.
Ungeduldiges Hupen reißt mich aus den Gedanken. Ja, hup du nur. Ich fahr ja schon. Ich schicke einen stillen Gruß zu der Taubenfreundin hinauf. Das lässt mir keine Ruhe. Warum kam ich so schnell in diese Schleife negativer Gedanken? Der Tag war stressig. Ok. Ich habe nicht geschafft, was ich wollte. Macht ja eigentlich nichts. Zuhause wartet Post, die erledigt werden muss. Ja. Und schon? Sollte mir das den Tag verderben? Ich glaube, es lag an dem Gefühl, fremdbestimmt zu sein. Wenn ich zu lange, zu oft und in erster Linie das mache, worauf ich keine Lust habe, beginnt mich das latent zu nerven. Dann bleibt die gute Laune auf der Strecke, ich werde innerlich grantig und das entlädt sich an einem Auslöser im Außen. Klar, man muss auch mal machen, worauf man keinen Bock hat. Die Betonung liegt aber auf „auch“ und „mal“. Um die eigenen Tanks gut zu füllen, ist es wichtig ab und zu auszusteigen. Die Spur verlassen, freinehmen, blau machen, das Leben feiern…. irgend sowas. Man verlernt das „Es sich gut gehen lassen“. Und dann versteht man gar nicht mehr, was das heißt. Wenn jemand aus Deinem Umfeld Dir sagt „Aber das hast Du doch sonst nicht gemacht.“ oder „Du machst ja auch einfach, was Du willst.“ dann bist Du auf dem richtigen Weg. Sehr gut.